Kunst wider das Vergessen
Eine Plakatkampagne von Studenten der Universität der Künste Berlin und des Nanjing Arts Institut, Nanjing, trotzt Krieg und Gewalt
Prof. Heinz-Jürgen KristahnDie Welt steckt voller Krieg. Krieg zwischen Ehepartnern, Nachbarn, Völkern. Krieg in Afghanistan,
im Irak. Krieg im Kopf, Krieg auf der Straße, im Computerspiel und auf dem Schulhof. Und die Welt steckt voller Gewalt. Gewalt mit Worten, Gewalt mit Fäusten. Gewalt gegen andere, Gewalt gegen sich selbst. Und die Welt steckt voller Rassismus. Rassismus gegen Rollstuhlfahrer. Rassismus gegen Frauen und Schwarze, Juden und Schwule. Rassismus gegen Religionen, ihre Propheten und ihre Märtyrer. Und die Welt steckt voller Intoleranz. Intoleranz gegenüber dicken blonden Frauen in Leggins. Intoleranz gegenüber Freaks mit Rastalocken und langsam fahrenden Opas mit gehäkeltem Klorollenüberzug auf der Hutablage. Intoleranz gegenüber Hundebesitzern und Hundegegern und ihren Verfechtern und ihren Gegnern. Und die Welt steckt voller Vergessen. Vergessen von Liebe und Selbstliebe und Barmherzigkeit. Vergessen von Geschichte und Holocaust, von Schuld und Verantwortung. Vergessen von Krieg, Gewalt, Rassismus und Intoleranz und wiederum Vergessen.
Irgendwas vergessen?
Die Welt ist ganz schön kompliziert.
Die Welt, könnte man meinen, ist schlecht. Sie ist dunkel, zuweilen ist sie sogar rabenschwarz. Fest steht aber auch: Die uns umgebende Dunkelheit zu verlassen, den verschlungenen Weg, der aus ihr herausführt, immer und immer wieder zu suchen, das ist menschlich. Diesen Weg tatsächlich zu gehen und nicht nachzulassen, ihn zu beschreiten, das ist zivilisatorisch. Die Hoffnung nicht aufzugeben, sein Ziel zu erreichen, das ist wichtig. Die Würde und die Unversehrtheit des Individuums dabei ganz obenan zu stellen, das ist richtig. Den Menschen zu erhellen von innen wie von außen, das ist didaktisch. Und Gott sprach: Es werde Licht! So spricht Gott, und zugleich gibt er uns damit einen Auftrag: Ziehe los, verlasse die Dunkelheit, öffne dich und lerne dazu und werde Mensch und bleibe es. Und das ist eine Notwendigkeit.
Ja, wir müssen lernen, beständig und immerzu. Beispielsweise, welcher Weg wohin führt. Wir müssen lernen, dass es Wege gibt, die sind sehr lang und sehr mühsam, und sie führen über große Höhen und durch tiefe Täler und durch weite Ebenen, und trotzdem sind sie richtig. Und wir müssen lernen, dass es Wege gibt, die sind sehr lang und sehr mühsam, und sie führen über große Höhen und durch tiefe Täler und durch weite Ebenen, und trotzdem sind sie falsch. Wir müssen auch lernen, dass es mitunter nicht leicht ist, gut und schlecht, richtig und falsch zu unterscheiden. Toleranz, was ist denn das? Wo fängt sie
an, wo hört sie auf? Zeugt es von Toleranz oder von Intoleranz, wenn muslimische Lehrerinnen an deutschen Schulen keine Kopftücher tragen dürfen? Vieles von dem was uns umgibt, stellt keine absolute Größe dar, und was hier und heute absolut richtig ist, mag dort und morgen absolut falsch sein. Deshalb müssen wir auch lernen, dass es einen Rahmen gibt, der Bezugspunkte wie Moral und Gerechtigkeit setzt, und innerhalb dieser Bezugspunkte tarieren wir uns aus. Wie heißt es so schön: Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir.
Und das Leben ist wahrlich nicht einfach. Lernen also, die Schule des Lebens und das Leben als Schule, ist ein Eckpfeiler unserer Zivilisation. Denn wer aufhört, wissen zu wollen, wird irgendwann nicht mehr verstehen können. Verstehen aber ist Grundlage dafür, miteinander zu kommunizieren, und Krieg als sogenannte letzte aller Möglichkeiten ist immer auch Kommunikationsverweigerung bzw. Kommunikation mit anderen Mitteln: Lasst Waffen sprechen, sagt man, und dabei handelt es sich lediglich um einen Euphemismus, der das Atavistische dieser Handlung verschleiert. Wie sonst als durch Erkenntnis soll der Einzelne die Unsinnigkeit von Krieg, Rassismus und Vergessen begreifen?
Stell dir vor es ist Schule. Alle gehen hin.
Schule, stellen wir fest, vermittelt Wissen, Erfahrungen, Grund- lagen, Normen. Schule macht möglich, dass unsere Kinder und Kindeskinder das Rad nicht ständig neu erfinden müssen. Schule lehrt positives Wissen und schützt vor negativem. Sie lehrt sich zu artikulieren, zum Beispiel künstlerisch. Schule lehrt Lernen, und wenn sie gut ist, gibt sie uns das Rüstzeug an die Hand, das babylonische Verständnisknäuel, das uns umgibt zu lösen. Denn das Wissen ist immer noch das beste Mittel gegen den Tunnelblick – und damit auch gegen Missverständnisse, Vorurteile, im weiteren Sinne auch gegen Hass, Krieg, Gleichgültigkeit. So gesehen ist die Schule nicht nur eine Einrichtung, die Kenntnisse vermittelt. Sondern ein Ort, an dem junge Menschen Zusammenhänge aufgezeigt
und begreifbar gemacht werden. Insofern kommt den Lehrern eine besondere Verantwortung zu – sie sind Menschen – und Charakterbilder im besten Sinne des Wortes. Sie vermitteln Wissen, sie vermitteln Werte; sie wirken auf den Einzelnen ebenso ein wie auf die Gesamtheit und legen eine wesentliche Grundlage dafür, dass die Schülerinnen und Schüler ihre und unsere Zukunft aussichtsreich gestalten.
Man kann also sagen: Unseren Lehrern kommt eine besondere Verantwortung zu – nicht nur für das einzelne Kind, sondern auch auf die Summe der Schüler, also unserer künftigen Gesellschaft. Und wenn Studenten an der Universität der Künste Berlin an einem Plakatwettbewerb gegen Krieg, Gewalt, Rassismus, Intoleranz
und Vergessen teilnehmen, so ist das mehr als eine Talentprobe hinsichtlich der eigenen künstlerischen Begabung. Denn es handelt sich dabei auch um ein Engagement, das gesamtgesellschaftliche Auswirkungen hat. Anders aus- gedrückt: Zukünftige Studienräte an deutschen und internationalen Gymnasien beziehen schon heute Position. Sie holen den Betrachter ab, sie regen an und begleiten ihn. Sie beziehen Stellung, sie mahnen und verstehen Erinnerung als Auftrag, mit dem sich Zukunft – unser aller Zukunft – positiv gestalten lässt. Sie sagen: Ich bin menschlich, und das steht obenan. Sie wissen, Plakate können die Welt nicht verändern. Aber sie wissen, dass das Wissen es kann. Und sie wissen, dass nichts unversucht bleiben sollte, Hass und Gewalt in seine Schranken zu verweisen.
Mit Worten, mit Taten. Mit Kunst.
Plakate gegen Krieg, Gewalt, Rassismus, Intoleranz und Vergessen